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Hurra, heute mauern wir uns ein

Ein Theaterstück für einen Aussteiger. Spielzeit ca. 60 Minuten.
eBook, ca. 30 Seiten, 7,99 EURO

Der Darsteller leidet an der ihm aufgezwungenen Gesellschaftsform und an der zunehmenden Verflachung der Werte, die das Leben für ihn lebenswert machen. Er handelt, weil er nicht warten will, bis er nicht mehr handeln kann. Es geht ihm um die Konservierung seiner Werteskala. Gestützt auf einen Ratgeber in Buchform mauert er sich ein. Er hat sich für die “Permanentlösung im eigenen Umfeld” entschlossen, eine sehr konsequente Einmauerungsform. Die Zuschauer und ein Kamerateam sind Zeugen seiner Vorbereitungen.

AUS DEM INHALT:

Es ist Einlass. Die Theaterbesucher nehmen ihre Plätze ein. Heitere Musik steht im Raum. Der Kameramann hat die Kamera auf der Schulter. Er filmt das Hereinströmen des Publikums, begleitet von seinem Assistenten, der auf die Kabel achtet. Auf der Bühne wird gearbeitet. Ein Mann in legerer Kleidung (der Akteur) versucht eine Holzplatte vor einem Fenster anzubringen. Es fällt ihm schwer sie in der richtigen Position zu halten und gleichzeitig zu nageln. Er stützt sie mit dem Knie. Die Platte neigt sich. Er stöhnt, schimpft und schlägt sich schließlich, für die Zuschauer nicht sichtbar, da er mit dem Rücken zum Publikum dicht vor der Platte steht, auf den Daumen der linken Hand, mit der er einen Nagel gehalten hat.

Auuu... Mist, verdammter ... Jetzt das noch ...

Die Platte kracht zu Boden, der Akteur springt im Kreis herum, schreit, stöhnt, hält sich abwechselnd den Fuß und den Daumen, sitzt schließlich stöhnend mit dem Rücken zum Publikum auf dem Bett.

So ist das, wenn man unter Zeitdruck steht. Ich ahnte, dass mir so etwas noch passiert. Ich hätte früher beginnen sollen. Wo habe ich ... Hoffentlich habe ich überhaupt noch ... (er dreht sich zum Publikum)

Ach Sie ... Sie sind schon da. Das hab ich gar nicht mitbekommen, wollte noch schnell ... Schön das Sie da sind. Aber erst muss ich ... (er stöhnt, steht auf, öffnet eine Schublade der Kommode, kramt) Wo habe ich ... Sie sind ... etwas früh, oder bin ich ... spät? - Wo ist denn dieser, dieser ...

Er lutscht am Daumen, findet einen Verbandskasten, öffnet ihn, zerreist mit den Zähnen die Umhüllung einer Verbandsrolle, beginnt den Daumen zu umwickeln.

Ich bin gleich soweit. Entschuldigen Sie bitte. Aber so ist das, wenn man sich beeilen muss. (er sucht nach Pflaster zum Festkleben des Verbandes) Ich bin ... ziemlich durcheinander - nein - aufgeregt. Schließlich ist es für mich heute ... ein wichtiger ... ein ganz besonderer ... Wo ist ...? Ein sehr entscheidender ... Ah, da ist sie und sogar die Schere. Ja, ich habe Ordnung.

Er findet die Pflasterrolle und die Schere, geht damit zum Bühnenrand, bückt sich hinunter.

Kann mir mal jemand helfen. Das ist nur passiert, weil ich mich so beeilen muss. Es sollte fertig sein, wenn Sie kommen, jedenfalls ... die Baumaßnahmen. (er ruft laut in den Saal) Nun macht doch endlich das Gedudel aus. Ich habe gesagt, dass wir ... keine ... kein Gedudel brauchen. (er schaut nach oben zu den Fähnchen und Ballons) Und diese ... dieses ... die unmögliche Dekoration da oben ist nicht mit mir abgesprochen. Völlig deplaziert ist das. (die Musik wird abgestellt) Währen Sie vielleicht so lieb?

Er streckt den unvollendeten Verband nach vorn, jemand aus dem Publikum hilft, kümmert sich um den Rest.

Nirgendwo ist man sicher vor diesem ... Schwachsinn. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, das da oben hat nichts mit meinem ... mit unserem Thema zu tun. Darauf möchte ich ausdrücklich verweisen. (zum Publikum) Aber ... Sie sind jetzt da. Das ist schön. Ich habe mich auf Sie gefreut. Wir werden uns ... kennenlernen. Ich denke dass uns einiges ... (er hält den verbundenen Daumen prüfend hoch) verbindet. Oh - danke. Das haben Sie sehr gut gemacht. Sie haben Erfahrung? Das spricht für Sie.

Er steigt hinab zum Publikum, geht an den Sitzreihen entlang.

Ich habe ja gar nicht mit so vielen gerechnet. Vor einer Stunde sagte ich noch zum Veranstalter ... Aber eigentlich überrascht es mich ja nicht. Es ist doch ein hochaktuelles Thema, was uns ... verbindet. (er deutet zur Kamera)

Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Der Abend wird aufgezeichnet. Vielleicht sehen Sie sich im ... (zum Kamerateam) Wo wird das gesendet? In welchem Programm? (die rufen irgendetwas, er wiederholt es jeweils für das Publikum) ........ Sie haben es gehört, im ........ Wann? Wann wird gesendet? ........ Aha, am ........ Um wieviel Uhr? Das muss man doch wissen. ........ Um ........ Uhr also. (zum Publikum) Sagen Sie es allen Freunden und Bekannten. Die werden Ihnen dankbar sein.

Es sind auch Presseleute hier. Ich wurde schon mehrfach interviewt, vorhin. Deshalb die Verspätung. (er schaut hinter sich, zu den Fenstern) Deshalb bin ich nicht fertig geworden. Deshalb habe ich mir ... (er schaut auf den umwickelten Daumen) Es zieht. Kennen Sie das? Natürlich kennen Sie das. - Uns verbindet einiges. Sonst wären Sie nicht hier - heute.

Das Medieninteresse spricht für die Aktualität des Themas. Und es ist doch schön, dass Sie es sich zu Hause noch einmal ansehen können, ganz in Ruhe. Sogar aufzeichnen können Sie es. Sie haben dann Ihre eigene Anleitung für Ihre eigene Einmauerung. Vielleicht ... nein nicht vielleicht, mit Sicherheit können Sie damit sogar Ihre Freunde zum Mitmachen gewinnen, können sie überzeugen vom Wert dieser ... dieser ... dieser Überlebens ..., dieser ..., der Werte ..., der Werteerhaltungstechnik. - Dann werden wir sehr schnell ... Aber ich quassel zuviel. Sie wissen ja noch gar nicht um was es geht, heute abend.

Er steigt wieder hoch, setzt sich auf den Bühnenrand.

Ich muss von vorn beginnen, dort, wo alles ... wo für mich alles begann. Übrigens ich war auch spontan damit einverstanden, dass Sie mir heute abend zusehen, in dieser ... sehr wichtigen vorbereitenden Phase. Sie ... Sie ... Sie auch ... (zur Kamera) und Sie zu Hause, obwohl Sie das Livegeschehen natürlich verpassen, Sie ... zu Hause am Bildschirm. - Tja ... und ich bin dann schon ... während Sie es zu Hause sehen ... schon weit ... wahrscheinlich schon sehr weit ... auf meinem Weg.

Genau darum geht es. (er ist aufgestanden) Mein Weg. Sie werden Zeuge eines für mich bedeutsamen neuen Lebensabschnittes. Sie dürfen mich ein kleines Stück begleiten. - Das verbindet uns, heute abend. - Ein Stück gemeinsamen Weges. (er geht auf und ab) Wo beginne ich? Ich hatte mir einen ... (er steht still, kramt einen Zettel aus der Hosentasche, liest) Ach ja.

Er greift nach einem kleinen Buch, welches auf dem Bett liegt, setzt sich mit dem Buch in der Hand auf das Bett.

Damit hat alles begonnen. Nein. So stimmt es nicht. Es hat viel früher begonnen ... bei mir selbst. - Nein nicht bei mir selbst. Bei den anderen. (er steht auf) Das stimmt auch nicht. - Nicht nur bei mir selbst und nicht nur bei den anderen. Ich hatte mich doch so gut vorbereitet. Naja. Ich improvisiere. (er holt tief Luft) Es hat sich viel verändert. Und so schnell. (er stöhnt) Da kommt man gar nicht mehr mit. Oder ... in meinem Falle ... Ich will es nicht. Jedenfalls nicht so.

Ich fühle mich in dieser Welt, wie sie heute ist, nicht mehr zu Hause. Das ist nicht die Welt die ich kenne, in der ich aufgewachsen bin, für die ich mich engagiert habe. - Die Werte sind verschoben. Ich fühle mich nicht mehr repräsentiert, mit meinem Denken, mit meinen Vorlieben, mit dem, was mich ausmacht. - Ich fühle mich ... mittlerweile ... beinahe täglich ... in vielen Situationen ... wie ein Wesen von einem anderen Stern.

Es sind Menschen anderer Art, die heute das Geschehen bestimmen. Ich muss mich sehr anstrengen, wenn ich mit ihnen kommuniziere. - Aber auch das Verhalten der ... Konsumenten hat sich verändert. Was die meisten heute mögen, mag ich in den meisten Fällen ... nicht. Es ist, als hätten wir keine gemeinsamen Wurzeln, keine gemeinsame Sprache.

Kennen Sie dieses Gefühl ... von Leere ... von Nichts, wenn man in der Pause, mit einer Faust in der Tasche, das Theater verlässt, weil das, was auf der Bühne geboten wird, nicht zu ertragen ist? - Ich habe es in den letzten Jahren oft erlebt. Gerne wäre ich schon nach wenigen Minuten gegangen. Aber das verbietet mir mein ... meine Erziehung. Also ... bleibe ich sitzen, obwohl ich das Gefühl habe, der Sitz brennt. Wenn der Vorhang fällt verweigere ich das Klatschen, schäme mich, weil das Publikum begeistert ist. Und während ich nach Hause eile zweifele ich an dieser Welt, aber mehr noch ... an mir selbst.

Kennen Sie das?

In der Presse wird das Stück als ein großer Publikumserfolg dargestellt. Einige Wochen später lese ich, es sei der Publikumserfolg der Theatersaison schlechthin, mit konstant ausverkauften Vorstellungen. Es werden zusätzliche Aufführungstermine angekündigt, auch für das nächste Jahr. - Nun zweifele ich nicht nur an dieser Welt und an mir selbst. Nun zweifele ich am Publikum und an der Presse.

Kennen Sie das? - Wahrscheinlich, sonst wären Sie heute nicht hier. Aber wenn es Ihnen auch so geht, woran orientieren Sie sich? Gibt es noch etwas woran man sich orientieren kann? Ein Unten, ein Oben, mit dem man sich identifizieren kann? Ist das überhaupt noch eine ... Presse, eine Berichterstattung? Wir brauchen sie. Sonst sind wir blind, blind für kleine und große Zusammenhänge.

Wenn Sie so etwas auch erleben, übertragen Sie es einmal auf alle anderen ... Medien. Sind Sie noch orientiert? Sie? Sie? Und Sie? Blicken Sie durch? - Gibt es vielleicht tatsächlich multikulturelle Global Player, die an der Verdummungsschraube drehen? Wollen die uns blind und gefügig machen, damit sie uns ... melken können? Oder sind die selber so ..., so ...? Gehören die auch schon zu den ...? Also wenn dem so ist ... Aber daran möchte ich lieber nicht denken. - Medien, die der objektiven Berichterstattung dienen, so wie ich es erwarte, sind es jedenfalls nicht.

Wann gehen Sie am Abend ins Bett? - Ja. Ich frage Sie, Sie! – Bitte sagen Sie es mir. Sie wirken nett und sympathisch. (er bückt sich am Bühnenrand zu einem Besucher in der ersten Reihe) Wann gehen Sie ins Bett? (er richtet sich wieder auf)

Ich gehe meist um neun ins Bett. Um diese Zeit ist mein TV-Programm zu Ende. Von acht bis neun, eine Stunde, wenn überhaupt, mehr bieten die mir nicht. Ich sehe gerne Dokumentationen und Beiträge zur Geschichte und Kultur. Die gibt es auf ... und manchmal auch auf ... bis neun. Was danach kommt ... (er schaut kurz zur Kamera, spricht etwas leiser zum Publikum) Aber die Gebühren zahle ich in voller Höhe. - Ich muss vorsichtig sein, es wird ja alles aufgezeichnet. (zur Kamera) Sorry, ihr könnt das natürlich raus schneiden.

Aber das muss ich noch loswerden: Vor einigen Tagen war ich im Kino, in einem Kultfilm. So werden die Filme ja heute angekündigt. Ob dabei Kult von Kultur abgeleitet wird habe ich noch nicht herausgefunden. Es ist anzunehmen.  - Also ich ging in diesen ... diesen ... Kultfilm, weil mich das Thema interessierte und weil er in den Medien als etwas Besonderes angekündigt wurde, ein Welterfolg und so. - Was traf ich an? Was glauben Sie? - Ich mache es kurz. Nur so viel möchte ich erzählen.

Nachdem ich mehr als eine halbe Stunde vor der Kasse angestanden hatte bekam ich als einer der letzten einen Platz auf dem Balkon, in der hintersten Reihe, Gott sei Dank. - Als die ersten Bilder über die riesige Leinwand flimmerten hatte ich das Bedürfnis die Augen zu schließen, um mich zu schützen. Großaufnahmen ... groß, noch größer, riesige ... meine Arme sind nicht lang genug es zu beschreiben, ... riesiger geht es nicht. - Alle zwei Sekunden ein Schnitt, ruckartige Kamerabewegungen, unscharfe Bilder, Schwenks, Überblendungen in unglaublich schneller Folge. - Vor wenigen Jahren hätte der Produzent die Aufnahmen in den Mülleimer geworfen und das komplette Team entlassen.

Dazu der Ton, die Geräusche ... von allen Seiten natürlich. Sie kennen das. - Mein Sitz vibriert. Ich vibriere. Das Kino vibriert ... Alles vibriert. (er macht es vor) Und an Stellen an denen ich erschrak, weil Menschen brutal verletzt wurden ... da lachten die meisten. (er geht zum Bühnenrand) Was glauben Sie? Sind es überhaupt noch ...? Wie kann man lachen, wenn ...?

Eine Gruppe junger Leute, die nach etwa zehn Minuten aufgestanden und hinaus gegangen sind, versöhnte mich. Ja, es gibt sie, die, die sich nicht als Mülleimer benutzen lassen. Auch, nein gerade unter jungen Leuten. - In diesem Falle habe ich studienhalber bis zum Ende ausgehalten.

Kennen Sie das? Wie verhalten Sie sich? Wie stillen Sie Ihr Kunst- und Kulturbedürfnis? - Ich klammere mich an die Klassiker der Literatur. Wie gut, das es viele gibt. – Ich fühle mich allerdings ... wie ein Übriggebliebener ... wie ein Schiffbrüchiger, allein in einem unendlich scheinenden Ozean. Nirgends ist Land in Sicht. - Gibt es heute keine Autoren die etwas zu sagen haben? Oder ... könnte es sein, dass sie keinen Verlag finden für ... Literatur? - Oder sind sie vielleicht auch schon ... auf der anderen Seite. Von irgendetwas müssen sie ja leben.

Sind die großen Verlagshäuser, die uns mit Bücher überschwemmen, an anspruchsvollen Inhalten überhaupt noch interessiert? Kann man mit Qualität heute noch Geld verdienen? Es sind Wirtschaftsunternehmen. Sie müssen wachsen. – Sie müssen fressen um nicht gefressen zu werden. Es ist das Überlebensprinzip unserer Zeit und auf den Punkt gebracht das, was mich belastet.

Ich fühle mich ... wie Don Quixote, der mit seiner Lanze gegen Windmühlen kämpft. Das Flügelrad dreht sich mit einer Geschwindigkeit, dass ich es einfach nicht schaffen kann. Ich treffe zwangsläufig ins Leere. - Es ist, als würde ich versuchen einen Hügel aus Sand zu besteigen, während die Sandkörner zur Seite hin weg rinnen. Ich beginne zu laufen. Ich laufe so schnell ich kann.

(...)

Jetzt komme ich zu Sache. Wir haben eine Chance, ohne dass wir gegen Windmühlen kämpfen und ohne dass wir ... mit schwimmen, mit rennen ins ... ins ... Nichts. - Mit der Metapher Windmühle hat Cervantes den Nagel auf den Kopf getroffen. Mehr ist es doch nicht. Auch heute. - Aber eine riesige Verdummungsmühle ist es schon. - Ich sage nein, ohne mich, weil ich dieses kleine wunderbare Buch gelesen habe. Es hat mein Leben revolutioniert. (er hält ein Taschenbuch hoch) Ich weiß nun, wohin der Weg führt. Und ... ich weiß auch wieder wofür ich mich engagiere. Ich fühle mich unter Gleichgesinnten. Ich bin nicht mehr allein. Ich habe ein Ziel. Das tut gut.

Vielleicht lese ich Ihnen einmal ein paar Zeilen daraus vor. (er blättert) Vielleicht ... Ja, die Einleitung. Ich bin sicher, vieles von dem, was da steht, ist Ihnen vertraut. Sonst währen Sie heute Abend nicht hier. (er legt sich auf das Bett) Schon der Titel hat mich fasziniert. Hurra, heute mauern wir uns ein. Anleitung zum Selbermachen. Jeder kann es. Nur Mut. Sie schaffen es, wie viele vor Ihnen. Verlag: Die Bessere Welt. (er setzt sich wieder auf)

Ist das nicht wunderbar. - Sie schaffen es, wie viele vor Ihnen. Es ist der Schlüsselsatz meines neuen Denkens. - Meine Zukunft. - Und davon möchte ich Ihnen berichten. Genauer gesagt von unserer gemeinsamen Zukunft. Vielleicht treffen wir uns bald wieder. Sie alle und ich, in einer anderen, schöneren, besseren, vor allem wertigeren Welt. Wir müssen etwas tun. Wir müssen uns weigern mit zu machen. Wenn viele handeln, haben wir eine Chance. Wir alle in diesem Raum. (zur Kamera) Und Sie zu Hause natürlich auch, wenn Sie sich der Einmauerungs-Philosophie anschließen.

Es geht um Einmauerung. Das ist nun klar. Aber was wird denn eingemauert? Und warum? Ich lese weiter, dann verstehen Sie alles. (er legt sich wieder hin) Deshalb Einmauerung. - Es ist die Überschrift des ersten Kapitels. Schutz, Geborgenheit, Abgrenzung von Negativeinflüssen, von als unwertig empfundener Lebensform, sind Grundbedürfnisse menschlichen Daseins. Einmauern ist eine sehr alte, in allen Kulturräumen praktizierte und gleichermaßen geschätzte Reaktion auf einen Zustand der als nicht mehr tragbar empfunden wird. Einmauern gilt als ethisch konsequent und vor allem effektiv, unabhängig von Zeit und Raum. Fühlen Sie sich angesprochen? - Ich ja. (er liest weiter)

(...)

Sie bestimmen Ort und Raum. Sie sind visionärer Planer und genialer Baumeister zugleich. In den nächsten Stunden können Sie Ihre hohen kreativen Ambitionen und Ihren Schaffensdrang verwirklichen. In den nächsten Stunden zeigen Sie, wer Sie sind und was Sie sind. Nachher dürfen Sie zu Recht stolz sein, auf das gelungene Werk. (er sitzt auf dem Bett, schaut sich um) Das bin ich, jetzt schon. Ich glaube, es ist mir gut gelungen, die Permanentlösung im eigenen Umfeld. - Es gibt noch andere. Vielleicht ist für Sie eine andere sinnvoller. Warten Sie ... (er blättert) Schauen wir doch mal. Ach, hier steht etwas sehr sehr Schönes. Das muss ich noch lesen.

Je mehr Brüder und Schwestern sich der Einmauerungs-Philosophie anschließen, desto größer wird unsere stille Gemeinschaft, desto größer werden die Chancen, eines Tages heraustreten zu können, mit Freude, um das Dasein mit Gleichdenkenden wieder lebens- und liebenswert zu erleben. Der Tag wird kommen, das ist gewiss. Wenn man weiß, was man will, fällt das Warten nicht schwer. Ausdauer und Beharrlichkeit, das ist alles, was nach der Einmauerung von Ihnen erwartet wird. Ist das nicht großartig? (er legt sich wieder hin und liest weiter)

Nun, da Sie wissen, dass Sie sich in bester Gesellschaft befinden, können wir mit dem Werk beginnen. Alles, was Sie benötigen, erhalten Sie, wenn nicht vorhanden, in gut geführten Handelshäusern. Es sind keinerlei Spezialkenntnisse oder Spezialwerkzeuge notwendig. Fragen Sie nach der Abteilung Einmauerung. Dort unterstützen Sie Fachberater bei der Zusammenstellung Ihres ganz speziellen Einmauerungspaketes. Wir haben bei unseren Vorschlägen natürlich auch auf hohe Wirtschaftlichkeit geachtet. Schließlich soll Ihr bescheidenes Vorhaben nicht an finanziellen Hürden scheitern. Also das hat mich total überzeugend? Das mit den Handelshäusern, mit den Fachberatern und so. - Aber jetzt kommt's, was ich eigentlich vorlesen wollte.

Grundlegendes zur rechten Wahl der Einmauerungsart. Gestatten Sie uns noch einige wenige Anmerkungen zur Ortsbestimmung. Für die Festlegung der besten Einmauerungsart ist es natürlich entscheidend, ob Sie in Eigentum oder zur Miete wohnen, ob Sie inside oder outside bevorzugen, ob Sie eine sporadische oder eine permanente Nutzung anstreben. Auch ein stufenweises Vorgehen von sporatisch bis permanent ist möglich und gilt nicht als inkonsequent. Bei der Permanentlösung sind eine Reihe vorbereitender zusätzlicher, den Erfolg sichernder Maßnahmen notwendig. Was jetzt kommt ist sehr sehr wichtig.

(...)

Mir schien die Out-of-home-Naturlösung zu unsicher, zu ... zu luftig. - Vielleicht verstehen Sie was ich meine. Und irgendwie fühlt man sich doch zu Hause am ... Naja zu Hause ist halt zu Hause. Ich bin doch kein ... Hase, oder so etwas. Wer weiß was mich da erwartet hätte, ganz allein in der freien Natur. Und das über einen solch langen Zeitraum. Da ist es hier doch wesentlich angenehmer. Sie werden sicher auch ein schönes zu Hause haben. Da fällt Ihnen die Entscheidung ebenfalls nicht schwer. - Naja. Andererseits. Naturliebhaber sind auch Menschen und schön, dass es für solche ... solche ... solche besonderen Menschen eine besondere Lösung gibt. Die haben wirklich an alles gedacht. (er sitzt wieder auf dem Bett)

Ja, oh schön. Hier kommt noch etwas zur Einmauerung im angemieteten Umfeld. Es gibt eine Variante zur Permanentnutzung im angemieteten Umfeld. Die Einmauerung für sporadische Nutzung im angemieteten Umfeld. Es ist die weitaus häufigste Einmauerungsform. Sie wird von Kennern als Vorstufe zur Permanentlösung gesehen. Die Sporadische Nutzung der Einmauerung im angemieteten Umfeld führt aber nur zu einem Teilergebnis. Das sollten Sie berücksichtigen. Auflagen des Vermieters, meist nicht abstellbare Kontakte mit Behörden und Versorgungseinrichtungen für Strom, Wasser etc. beeinträchtigen den Wirkungsgrad erheblich. Sie müssen immer wieder Welten überbrücken, Welten zwischen drinnen und draußen. Das leuchtet mir ein. Das ist doch klar. Deshalb wollte ich es auch nicht. Wenn schon, denn schon. Wenn du drin sitzt im Dampfer, sitzt du drin, habe ich mir gesagt. Da hast du nichts mehr zu steuern. Der Kapitän steuert. Der weiß, wo es lang geht. Und wenn du angekommen bist, wirst du es schon merken. - Ist doch so. - Hier steht es auch, oder so ähnlich.

(...)

Mir ist das alles klar. Die Entscheidung ist getroffen. Fenster und Türen sind dicht. - Nun kommt die Checkliste dran. (er blättert) Es gibt sogar eine Checkliste. Ich finde sie sehr praktisch und so übersichtlich. Da kann man nichts falsch machen. An solch kleinen aber wertvollen Dingen erkennen Sie die Objektivität eines guten Ratgebers. Ganz gleich, zu welcher Einmauerungsform Sie sich entschließen, so sollten Sie vorgehen. (er holt einen Stift zum Abhaken) Entfernen Sie das Namenschild an der Klingelanlage oder kleben Sie einen Aufkleber darüber: Verreist auf unbestimmte Zeit. Sehr wichtig!! – Das habe ich gemacht, vorige Woche schon, sauber, mit einem feinen Filzstift. Es sieht richtig gut aus. Sie können es sich ja nachher einmal ansehen. Klingel abstellen. Erledigt.

Montieren Sie den Briefkasten ab. - Brauche ich nicht. Habe ihn zugeklebt. Ist genauso wirkungsvoll. Man muss aber gutes Klebeband benutzen. Daran darf man nicht sparen. Am besten schwarzes, was so glänzt, als Gewebeband. Sie kennen das bestimmt. Und voll drüber über den Einwurfschlitz, mehrmals. Das ist wichtig.

Entfernen Sie im Außenbereich und im öffentlich zugänglichen Bereich wie Hausflur und Keller alles, was auf Ihre Anwesenheit hinweisen könnte, alle Blumen und alles, was Ihnen gehört. - Es war nicht viel von mir da, außer im Keller. Der ist aber jetzt leer. - Sperrmüll, das Meiste jedenfalls. - Sie staunen. Wieso? - Was nicht mehr gebraucht wird ... weg damit. Was glauben Sie wie wohl Sie sich hinterher fühlen. Schon das schafft ein neues Lebensgefühl. Probieren Sie es, am besten sofort wenn Sie nach Hause kommen. Telefon aushängen, besser abklemmen. Noch besser abmelden. Ist abgemeldet und mausetot.

(...)

Besorgen Sie Konserven, mindestens für sechs Monate. Das reicht unter Einmauerungsbedingungen für mehrere Jahre. Kürzere Einmauerungszeiträume sind hinsichtlich des Einmauerungseffektes nicht zu empfehlen. - Kann ich verstehen. Gönnen Sie sich wertige Ware, denn schließlich leisten Sie einen wichtigen Beitrag zum Werteerhalt. Schön formuliert. Da spürt man, die meinen es gut mit einem. Ich habe mich auch daran gehalten. (er geht zur Kommode, wo die Dosen aufgeschichtet sind) Ich habe mir wirklich etwas geleistet. Es sind Delikatessen. Da würde sich mancher Spezialitätenkoch die Finger nach lecken. Das war kein guter Vergleich. Aber Sie wissen wie ich das meine. - Wenn schon, denn schon. Bei dem geringen Kalorienverbrauch wäre es doch wirklich schade. Und eine kleine Freude so ab und an ... Das tut doch gut. (er nimmt Dosen in die Hand, liest was darauf steht, zeigt sie dem Publikum)

Darauf freue ich mich, ganz ehrlich. Ich habe immer gerne gegessen. Gutes meine ich. Nicht im Restaurant. zu Hause. Hier bei mir. Ich bin ein guter Koch. - Was, das glauben Sie nicht? Sie lachen? Sie können mich ja mal besuchen. Nein, geht nicht. Erstens, Sie sind zu zahlreich. Ich meine, wenn Sie alle zusammen kommen. Das würde teuer und außerdem ... Vielleicht ist es später angemessener, wenn wir uns wiedersehen. Vorausgesetzt Sie folgen meinen ... meinem ... Vorausgesetzt Sie entschließen sich für einen vergleichbaren ... Weg.

Vielleicht machen wir dann eine große, ganz ganz große Party, mit allen. Mit wirklich allen. Können Sie sich das vorstellen? Das wird was. Vielleicht können wir dann alle zusammen ... Nein, das wird nichts. Mit so vielen kann man nicht kochen. Aber andererseits, für so viele kochen ist auch schwierig. Aber darüber können wir noch nachdenken. Wir haben ja jetzt viel Zeit. - Der Gedanke mit der Party ist doch gut, oder? - (er schaut ins Buch) Was jetzt kommt ist sehr sehr wichtig.

Decken Sie sich mit Getränken ein, für den gleichen Zeitraum. Alles, was Sie mögen. Auch hier bitte keine falsche Sparsamkeit. Bedenken Sie, die Einmauerung ist eine sehr preiswerte Daseinsform. Bei Mineralwasser hat sich Stille Quelle bewährt. - Das war schon vorher meine Marke. Auch mit Wein habe ich mich eingedeckt. Nicht nur das, was Sie hier sehen. Die besten Flaschen liegen dort im Schrank, im Dunkeln, wie es sich gehört. Das wird noch ganz lustig. Meinen Sie nicht auch?

Lesestoff, Papier und Schreibwerkzeug in ausreichender Menge bevorraten. Sehr wichtig!! - Klar. Besonders für mich. Habe ich immer in meinem Nachttisch und schon manche nächtliche Stunde damit verbracht den Gedankenstrom zu Papier zu bringen. - Lyrik und Prosa. - Die Schublade da unten ist voll. Ich könnte glatt ... mindestens ... Ich könnte viele Bücher ... Vielleicht mache ich es. Danach. - Mit Sicherheit kommt in den nächsten Wochen und Monaten viel hinzu. Verabschieden Sie sich von Freunden, Verwandten, Bekannten, Kollegen ... Sprechen Sie von einem Auslandsaufenthalt unbestimmter Dauer. - Hab ich alles erledigt.

...

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(Sammelband)

Austern
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oder Könige

VIOLA + BO

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Es gibt sie noch

DRAUSSEN

BIRDS
oder Die Sache
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Nichts für alle

Der Souffleur

Der Mann,
der seinen Kopf
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erwartete

Man nehme

Gute Nacht Lisa
oder Die Sache
mit dem Teddy

Ich lebe

Ich liebe

Ich denke

Puppenmacher

Hurra,
heute mauern
wir uns ein